Eigentlich heißt er Jon und kommt elterlicherseits aus der Landwirtschaft in Schleswig-Holstein, hat sich ein zusätzliches „h“ in den Vornamen John gegeben: John Bock jetzt aus Berlin. Und was macht Bock? Alles, was ihm Spass macht – und uns dazu.
Er ist internationaler Aktionskünstler, Bildhauer, Selbstdarsteller, Filmemacher, Autor, Zeichner und lässt uns an seinem freien „Liquid-Thinking“ teilhaben: Wir dürfen bei Bocks Installations-Show aus elf Stationen in seinen hier materialisierten Gehirnwindungen auf lustvolle Entdeckungsreise gehen. Die Ausstellung mit dem rätselhaften Titel „Der Moloch der Wesenspräsenz“ wurde eigens für die Berlinische Galerie, in einer zehn Meter hohen Halle, inszeniert.
Erst einmal schwer einzuordnen fließt Bocks überbordende und undogmatische Gedanken- und Phantasiewelt nach außen. Offen mit allen Sinnen geht man auf den Bock-Trip: laut, bunt, aggressiv, amüsant und zombie-zotig und duftend. Von Splatter-Movies über kleine Alltagsobjekte bis zum tanzendem Slapstick-Video. Koketiert Bock: „Ich lass tanzen, wenn mir gerade mal nichts einfällt.“
Eine fabelhafte Freakshow, die die beziehungsreichen Arbeiten von John Bock aus den letzten zehn Jahren zelebriert: „Malewitchs schwarzes Quadrat“ wird zum Rechteck. Eine Station „Der Pappenheimer“ verbindet sich „mit olfaktorischen Reizen, Sound, Film und installativen Elementen zu einer Erzählung rund um Casanova und eine Steinskulptur, die an Golem erinnert“. Aber auch vor sich selbst macht er nicht halt. Und stellt sich aus- in Stücken: Ein geköpfter John Bock mit abgesägten Gliedmaßen aufgeteilt in drei Gepäcktrolleys ist reisefertig zur nächsten schaurigen Tat.
„Bei mir ist Kunst nicht schöngeistig, sie muss wehtun. Es wird eklig, gibt brutale Film-Szenen, die schocken und uns in Wallungen und das Gehirn in Bewegung bringen sollen. Kein Hochglanzsport wie Gerhard Richter, eher Ackerfurchenkrabbeln.“ Da scheint er ganz bodenständig.
So gewinnen Gegenstände aus dem täglichen Leben, Kugelschreiber, Brillengestelle mit dazugehörigem Klick-Klack-Sound eine neue Bedeutung, da werden ausgestopfte Socken miteinander verschlungen zu einer Art Gedärmegitter, und der Betrachter mittendrin. Eierschalen, eingetrocknete, kleine Gurken neben Gläsern gefüllt mit aus Künstlerhand gekneteten Köpfen, werden am Ende des Parcours offeriert.
Und was ist das Ganze? Auf jeden Fall ein schrecklich schöner Künstler-Kosmos, so komplex, dass er bei Leibe nicht beim ersten Mal zu „knacken“ ist. Damit hat die Berlinische Galerie einen tollen Coup gelandet … bis zum 21.08.17 www.berlinischegalerie.de
Von Athen, Münster & Mäusen
Das Thema Athen findet häufig nur in ökonomischen Bezügen statt, Griechenland als wirtschaftliches Schlusslicht Europas, und dabei auch immer die irrlichternde Vision eines Lichtes am Ende des Tunnels vor Augen.
Der Pole Adam Szymczyk, Leiter der diesjährigen 14.documenta wird vielleicht das mediterrane Licht wieder zum Leuchten bringen, zumindest kulturell hat er den Spieß umgedreht. Sein Arbeitstitel für die internationale Kunstschau: „Von Athen lernen …“,
Damit sind mal eben alte Regularien aufgebrochen, hat er neben Kassel (seit 1955 alleiniger Gastgeber) konzeptionell gleichberechtigt Athen als Ausstellungsort ausgerufen und lässt die griechische Metropole sogar zwei Monate vor Kassel im Juni starten. Durch diesen Ortswechsel verspricht sich Szymczyk „eine völlige Transformation der documenta“ 2017.
Die teilnehmenden Künstler–innen sind so aufgefordert „ die im Rahmen zwischen diesen beiden Städten entstehende Dynamik zu reflektieren und für beide Standorte ein Kunstwerk zu realisieren“.
Zur Jahrespressekonferenz am 22.2.17 der Kulturstiftung des Bundes reiste der Kurator und künstlerischer Leiter Szymczyk eigens aus Athen an, immerhin ist die documenta 14 mit 4,5 Mio. Euro vom Bund gesichert – nicht zuletzt auch legitimiert durch die Besucherströme: Vor fünf Jahren besuchten 900.000 Kunstinteressierte Kassel.
Ebenfalls von der Kulturstiftung mit einer Mio. Euro als Hauptförderer unterstützt wird das alle zehn Jahre stattfindende Skulptur Projekte Münster. In der reichen Kaufmannsstadt mit 300.000 Einwohnern konnte man sich nun innerhalb von fünfzig Jahren (seit 1977) an diese „3 ½ Monate Dauerparty gewöhnen“, so der Gründer und künstlerische Leiter Kasper König. Im Sommer 2017 zeigen 35 internationale Künstler Bildhauerei, Installationen und Performances. Sogar ein Sohn der Stadt, nämlich Knut Klaßen gibt in Münster Gas mit seiner Theaterproduktion „Ein Auto mit fünf Rädern, das keine Bremsen hat“. Ansonsten lebt und arbeitet der Künstler in Berlin …
ART GOES FASHION: Kriesels Ticket nach New York
Kreatives aus beiden Welten, die der Kunst und der Mode miteinander zu verschmelzen, gelingt nicht immer so inspiriert wie hier: Bereits zum zweiten Mal wagt der Berliner Künstler Peer Kriesel, 37, einen Ausflug ins Fashion-Mekka New York City. Und gewinnt! Sein winziger, übermalter Fahrschein „Fahrt 0376“, 2015 wird zum Ticket zur Fashion Week und zum Key Piece für die US-Couture Designerin Julianna Bass im Februar 2017.
Den Berliner Fahrschein hat Maler und Zeichner Peer mit einer wilden Szenerie aus Menschen und Tieren en Miniature malerisch verfremdet „dabei bleibt eine Interpretation dem Betrachter überlassen. In jedem Fall war die Fahrt 0376 wild“, so Peers Erinnerung. Und die findet sich vergrößert übertragen und seriell geprintet auf Stoffen aus Italien in Julianas exzentrisch-schönen Kleidern in der „Transition“-Collection A/W 2017 wieder.
Seine vielfältigen Szenerien aus surrealen Fratzen und Fabelwesen – gemalt und fein gezeichnet in Einzelbildern steigern sich aber auch hin bis zu komplexen Wimmelbildern und finden sich genauso auf (Alltags-) Objekten wieder. Dieser teils bizarre eigene Kriesel-Kosmos entspringt „immer spontan aus meinem Unterbewusstsein und ist inspiriert durch meine Außenwelt, Politik, durch Nachrichten – gute wie schlechte –, durch Wetter, Gefühlslage, Ängste und Gefühle der Hoffnung. Somit sind die Resultate immer sehr persönliche Werke.“
Mehr von Kriesels Kunst kann man sich anschauen unter seinem gleichnamigen Katalog frtzn.de sowie auf seiner Website www.peerkriesel.de.
Nachdenken über Beuys…
Wieviel Beuys steckt noch 30 Jahre nach seinem Tod in zeitgenössischer Kunst?
Kurator Philipp Bollmann hat sich auf Spurensuche begeben nach Einflüssen des damals in der Düsseldorfer Kunst-Akademie agierenden Visionärs und Künstlers. In der Gemeinschaftsausstellung „Open Windows – Reflection on Beuys“ steht die Arbeit von Asta Gröting (*1961), eine von elf KünstlerInnen, im wahrsten Sinne des Wortes im Mittelpunkt der Galerie Sexauer und hinterlässt überdimensionierte Fuß-Abdrücke. Für die zwei Füße in Gold und Silber hatte die auch in Düsseldorf ausgebildetete Bildhauerin für ihre Skulptur „Ein Bürger von Calais. Die Füße von Eustache de Saint Pierre“, 2015 einen Fußabdruck aus dem berühmten Werk von Rodin in Originallänge abgenommen. In aller (selbstironischer) Bescheidenheit stellte Gröting dann ihre eigenen Silver-Sneakers kurzerhand in die 50 cm lange Bronze, dabei füllt sie die Fußstapfen der Abguß-Form nicht einmal zur Hälfte aus.
Und Beuys Spuren kann man nur erahnen: Es gibt ein Foto von Beuys vor der bronzenen Skulpturengruppe in Calais von Rodin, der als erster moderner Bildhauer im 19.Jahrhundert galt und damit auch vorwärtsweisend …
Bei den Beuys-Reflexionen ebenso mit dabei: Christoph Schlingensief, Erwin Wurm, Jonathan Meese, Rebecca Warren … bis zum 10. Dezember in Berlin bei sexauer.eu
Der kleine Erwin Wurm „bei Mutti“
Jetzt wissen wir, dass es “Bei Mutti“ in Graz eher provinziell und eng zuging.
Der kleine Wurm lebte damals mit seinen Eltern bei Oberschöckl in der Steiermark in einem spitzgiebeligen Einfamilienhaus, Hausnummer 79, mit bunten Gardinen, Tapeten und Blumenkästen. Detailgetreu vom heute großen Wurm nachgebaut kann man nun Muttis Häuschen aktuell in der Berlinischen Galerie betreten und sogar auch in den ersten Stock steigen- vorausgesetzt man leidet nicht unter Angst vor Enge. Und schon steckt wieder der Wurm drin (sorry für den Kalauer): Er selbst hat das haushohe Modell nämlich auf die klaustrophobische Breite von 1,10 m geschrumpft. Damit wird sein damaliges Lebensgefühl und der Zeitgeist auch für uns körperlich erfahrbar. Trotzdem oder gerade deswegen konnte er von dort eine erfolgreiche Künstlerkarriere starten. Weiterlesen
Arrivederci Venezia: über 500.000 Besucher kamen zur Biennale 2015
An diesem Wochenende konnte man sich zum letzten Mal – zumindest in den Giardinis von Venedig- Karl Marx Kapital vorlesen lassen. Ein Kunst-Act über den wohl fast mehr geschrieben wurde, denn dass sich die Biennale-Besucher 2015 das defacto angehört hätten. Ein platt plakatives Politik-Statement , eins von den insgesamt 163 Teilnehmern im Rahmen der zentralen Ausstellung, die der Nigerianer Okwui Enzewor, Direktor des Hauses der Kunst in München, eingeladen hatte. Weiterlesen
G2: Eine neue Kunsthalle für Leipzig!
Allein- als einziger Besucher in einer Kunsthalle auf 1000 Quadratmetern zu schlendern- da fühlt man sich wie ein im Bonbonladen vergessenes Kind. Dieser (Kunst-)Traum war dazu noch von der Kuratorin der Eröffnungs-Ausstellung Leipzig 2015. Sammlung Hildebrand des Privatsammlers und Immobilien-Unternehmers Steffen Hildebrand perfekt begleitet.
Weiterlesen
Berghain: Das Spiel mit der Schwüle
Berghain gestern Abend: Schwüle Temperaturen- schwüle Atmosphäre- schwüle Kunst. Mit 9 Künstlern und Vernissage feiert sich der Techno-Club selbst zu seinem Zehnjährigen. Wie üblich mit knallharter Tür. (Und ließ die Leute stundenlang draußen). Und dass obwohl der toughste Türsteher überhaupt, Sven Marquardt, selbst drinnen war präsent mit seiner schwarz-weißen Fotoserie, geschossen in der Szene. Wie es im wahrsten Sinne des Wortes- im Berliner Club ab-läuft, weiss auch die Installations-Künstlerin Sarah Schönfeld: Sie sammelte über Monate Urin von Berghain-Besuchern, füllte den in ein vier Meter langes, beleuchtetes Glas-Objekt. Weiterlesen
Die Kunst zu Zweit …
Lindinger+Schmid: Ein Power-Paar, im Leben wie im Verlag und der ist ihr Leben. Ein Kleinverlag in Berlin auf 1200 qm mit einem Dutzend Mitarbeitern, der u.a. kostenlos die monatliche KUNSTZEITUNG herausbringt. Aber nicht umsonst, existiert das Gratisblatt nun mehr schon seit 20 Jahren und war von Anfang an rein Anzeigen finanziert.
Er der Wort-Mann, Karlheinz Schmid schreibt z.B. in der Maiausgabe nahezu hymnisch über Julia Stoschek, würdigt die Galeristin Rosemarie Schwarzwälder, geißelt die Mode als Blutsauger von der Kunst.
Und beschreibt den heutigen Kunstbetrieb als Entenhausen des Moneten raffenden Dagobert Duck: Die Milliardäre lassen die Kunstwelt sich drehen. Dagegen spielen wir Kunstkritiker als Korrektiv keine Rolle mehr. Und doch schreibt Schmid weiter an gegen Dagoberts gierige Neffen Tick, Trick & Truck die KUNSTZEITUNG wirkt dabei keineswegs harmlos und ist immer weit weg von jeglichem Gefälligkeits-Journalismus.Dann kommt nochmal eine saubere Trennung:
Der andere Teil des Super-Duos: Sie die Zahlen-Frau, die keine Gegen-Geschäfte macht, aber dafür gute mit Anzeigen. Gabriele Lindinger weiß, Kunden wie den Frankfurter Museumsdirektor Max Hollein in langjähriger Treue an sich zu binden, schätzt genauso befreundete Künstler, Galerien und vor allem den eigenen Lebensgefährten ohne sich durch die große Nähe zu Vermengungen hinreißen zu lassen.
Eine Ausnahme gibt es für die Anzeigenchefin und der aus dem Bauch Malerin und dem Journalisten mit Malerei-Studium: Wenn das Paar mit Pinseln vor der Leinwand steht und gemeinsam Abstraktes produziert. Und dann doch ein kleiner Kunstgriff gegen gegenseitige Vereinnahmungen? Denn die Bilder sind immer Dyptichons, also erst einmal sauber in zwei Teile getrennt – und (noch?) privat. Öffentlich dagegen die KUNSTZEITUNG, die liegt aus in Museen, Galerien und Kunstvereinen … www.lindinger-schmid.de
GIVE US THE FUTURE, Berlin!
Unter diesem Motto präsentieren sich derzeit 15 internationale Künstler im Neuen Berliner Kunstverein (n.b.k.) bis zum 20. April gefördert durch den Berliner Senat.
Die Stipendiaten und Stipendiatinnen zeigen multimedial zeitgenössische Positionen, in denen gesellschaftskritische Fragen verhandelt werden.
Mit dem Song Give Us the Future wütete schon die Punkband One Way System 1982 gegen die konservative Thatcher-Regierung. Ein Titel, der gleichermaßen für die Ausstellung und eine Podiumsdiskussion dazu taugt: Zur Lage der bildenden Kunst in Berlin. Und für Corinne Wasmuth (ein Bild von ihr hängt in Angela Merkels Kanzleramt) sieht die Zukunft der Kunst gar nicht rosig aus: Die tolle Zeit ist vorbei. Die Malerin und Kunst-Professorin (Karlsruhe) macht konkret eine Berliner Krankheit aus: Die Hauptstadt ist inzwischen teuer wie überall- Kunst zieht Investoren und teure Immobilien nach sich und vertreibt die Künstler selbst. Und: außer für die subventionierten drei(!) Opernhäusern gibt es kein Geld für die Museen und ihre Ausstellungen, etc . Berlin schmückt sich mit Kunst, aber zahlt nicht dafür ein Konsens allerdings aus dem Plenum mit konstruktiven Vorschlägen nach Produktions-, Katalog, und Ausstellungsförderung für Künstler und neuen Denk-Ansätzen wie, Kunst muss man hauptsächlich zeigen und nicht nur privat kaufen. Auch Kunstsammler Axel Haubrok (Foto) will mit allen Betroffenen die Zukunft gemeinsam gestalten. Die Haubrok-Foundation zeigt vom 1.Mai 11.Juli 20114 den Konzeptkünstler Stanley Brouwn & the distance between me and you. www.haubrok.org